Wie ist es, wenn man als Einheimischer trotzdem als «Gringo» bezeichnet wird? Und wie fühlt es sich an, wenn man unter zehntausenden Menschen plötzlich oben aufschwimmt? Data Scientist Felipe Ramirez erzählt seine Geschichte.
Felipe Ramirez, Senior Data Scientist Consultant und System Engineer bei clearByte, kommt aus Peru, Peruaner ist er genetisch gesehen aber nur zur Hälfte. Ein Elternteil kommt aus dem Land der Inkas, die Grosseltern mütterlicherseits aus der Schweiz. «Ich war in der Kindheit in einer Schweizer Schule», erklärt Felipe und führt aus: «Beide Kulturen zu erleben war immer sehr spannend – ich habe als Kind zum Beispiel oft mit meinen Grosseltern Jass gespielt und solche Sachen.» Felipe weiss also seit den Kinderschuhen, wie man einen anständigen Schieber klopft. Auch hat er neben dem peruanischen den berühmten roten Reisepass mit dem weissen Kreuz, ist also Doppelbürger.
In der Schweizer Schule in Peru konnte er viel über die Schweiz, ihre Kultur, Geografie, Geschichte und auch die Sprache lernen. Felipe: «Wir haben in der Schule natürlich Hochdeutsch gesprochen, aber bei meinen Grosseltern – mit denen ich selbst übrigens spanisch gesprochen habe – war immer wieder Schweizerdeutsch zu hören.»
Einigermassen gut in Mathe
«Ich war immer gut in Mathe und so entstand der Plan, ein Mathe-Studium an der staatlichen Universität für Ingenieurwesen in der Hauptstadt Lima zu machen», so Felipe. «Das war krass – die Uni (Universidad Nacional de Ingenieria) ist bekannt als eine der härtesten im Land, weil es eine der einzigen Unis ist, die nicht privatisiert ist und man nicht mit Geld reinkommt.»
Es gab 80 Studienplätze – im Prinzip vollfinanziert durch den Staat – und 64’000 Bewerber für die Plätze (Achtzig von Vierundsechzigtausend, kein Typo)! Für Nicht-Mathematiker: Das sind statistisch 0.125 % es zu schaffen. Beste Voraussetzungen also. Felipe war nach eigenen Angaben nicht optimal vorbereitet und hatte auch nicht wirklich Hoffnung, es zu schaffen.
«Ich gehe also in der Woche nach den Prüfungen ans Anschlagbrett mit der Ergebnisliste und suche die ersten 80 Plätze von hinten ab, rechnete aber nicht damit, meine Namen dort zu finden», erinnert er sich schelmisch grinsend.
Nein, nein, nein, nein, nein… und dann findet er sich letztlich doch noch auf der Liste… Auf dem ersten Platz.
Er hatte gerade das beste Ergebnis abgeliefert. Von 64’000 Bewerbern. Oops.
«Die nächsten zwei oder drei Tage war ich betrunken», ergänzt er lachend. Verständlich.
Sich zeigen und druchsetzen
In den Anfängen seiner Studienzeit erlebt Felipe etwas, was ihn noch heute prägt, wie er erzählt: «Ich habe im Studium so etwas wie Rassismus erfahren», berichtet er. «Das Problem ist, dass an einer solchen Uni nur die schlauesten Leute sind. Leute, die ihr ganzes Leben mit Lernen verbracht haben und fleissig waren. Die meisten davon vollblütige Peruaner oder «Cholos», wie man die Einheimischen nennt.»
«Wenn du dich zeigst und dich durchsetzt, merken die Leute: Der hat sich das verdient!
Felipe mit seinen europäischen Genen und etwas helleren Haaren war für die Mitstudenten aber ein «Gringo» – ein Ausländer. «Was macht der privilegierte Gringo hier? Wen musstest du für den Studienplatz bestechen?» sind die Fragen gewesen, die er sich anhören musste, erzählt er heute.
«Ich musste mich durchsetzen, mich beweisen. Aber ich habe viel daraus gelernt», sagt er und fügt eine seiner wichtigsten Lebenslektionen an: «Wenn du dich zeigst und dich durchsetzt, merken die Leute: Der hat sich das verdient!» Und so kam das dann auch – nach zwei Jahren harter Arbeit hatte sich die Situation beruhigt und er konnte seinen Bachelor-Abschluss in Frieden absolvieren.
In fernen gefilden
Mit gut 21 Jahren, wir schreiben 2006, kam Felipe dann in die Schweiz, mit dem Ziel, seinen Mathe-Master zu absolvieren. «Es hat mir im Studium überhaupt nicht gefallen, das war viel zu theoretisch. Schon spannend, aber halt nicht was ich wollte», erinnert er sich. Daraufhin brach er ab und absolvierte stattdessen einen Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen mit einem anschliessenden Master-Abschluss in Banking & Finance.
Im Rahmen des Bachelor-Studiums kam das Thema Data Science auf, in dem Felipe sich pudelwohl fühlte. Der Samen seiner heutigen Leidenschaft für gigantische Datensätze und neuronale Netzwerke war gepflanzt. Im Master baute Felipe dann einen Machine-Learning-basierten Überwachungs-Dienst für den Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM).
«Ich baue für jeden kleinen Schissdräck ein Modell zur Berechnung oder einen Prozess. Das macht das Leben spannend!»
Über Miriam (Mitglied der Geschäftsleitung) eine Bekanntschaft aus dem Studium lernte er Alex kennen, der ihm einen Nebenjob anbot. Offensichtlich sagte ihm das so zu, dass er nach dem Studium einfach geblieben ist. Heute ist Felipe in unserem Unternehmen und bei Kunden ein allseits geschätzter und kompetenter Kollege, der als Software Coordinator, Client Engineer und Data Scientist tätig ist.
Bei clearByte, so Felipe, schätzt er die Menschen am meisten. «Wir haben eine flache Hierarchie und verfolgen gemeinsam die gleichen Ziele. Das ist sehr cool.»
Berechnungen – für so ziemlich alles
Seine Freizeit verbringt Felipe mit Kochen – «Wir Peruaner sind Weltmeister im Kochen!» (Anm. d. A. Wer noch nie eine Ceviche gegessen hat soll sich dringend bei Felipe melden.)
Fitness – 3 Mal pro Woche. Ohalätz.
Gaming – «Ich bin ein grosser Final Fantasy Fan und habe alle Teile gespielt. Der beste war FF8.»
…und am wichtigsten: Bücher – zuletzt «The man who knew infinity» über das indische autodidaktische Mathegenie Srinivasa Ramanujan. «Wirklich geiles Buch», versichert er mit Begeisterung.
An die Tatsache, dass man während der Arbeit (vor allem bei Mathe-Themen) manchmal den Eindruck gewinnt, dass Felipe ein Roboter aus der Zukunft sein muss, haben wir uns gewöhnt. Zuletzt wollen wir aber wissen, ob sich das auch bis ins Private zieht.
«Oh ja», antwortet er. «Ich baue für jeden kleinen Schissdräck ein Modell zur Berechnung oder einen Prozess. Das macht das Leben spannend!»
Danke, Felipe.
Last but not least: Turbo-Fragerunde mit Felipe!
Mathe oder IT?
Mathe
Was wird dein neuestes oder nächstes Pet-Projekt?
Ich baue auf Basis eines Raspberry Pi ein persönliches AI-Dashboard mit Wetter- und Verkehrsinfos und solchen Sachen. Das
Raspberry läuft schon, jetzt muss ich noch den Spiegel bauen, auf dem es dargestellt wird.
Mario Vargas Llosa oder Alejandra Morin? (Anm. d. A. Kult-Schriftsteller und tolle Schauspielerin/Produzentin aus Peru)
Mario Vargas Llosa
Was ist deine schlechteste Angewohnheit?
Ich störe mich sehr an Unpünktlichkeit (Anm. d. A. das ist in der Schweiz aber eher positiv…)
Mit 10’000 Franken würde ich…
…in die Ferien fahren.
Mit einer Million Franken würde ich…
…eine Firma gründen.
Mit einer Milliarde Franken würde ich…
…mehrere Firmen gründen.
Mayo, Ketchup oder Senf?
Senf
Schlechteste Software?
Da gibt es viele. Meine Top 3 sind: Access – das hasse ich mit meinem ganzen Leben, zweitens Excel – für meinen Job als Data Scientist ist das ein absolutes No-Go und drittens SPSS für Statistik – weil es eine unflexible Blackbox ist.
Glaubst du an Geister?
Nein
Das schönste Land der Welt?
Malediven
Tag oder Nacht?
Nacht
Mit welchem Promi (lebend oder tot) würdest du am liebsten mal ein Bierchen trinken?
Stephen Hawking